06 / 08. 2017
Claudia Rößger
Ich und die Anderen
Claudia Rößger lässt einen Zug Rollenspieler aufmarschieren, eine Art Ensemble aus Maskeraden. Es sind Rollen, die sie beschäftigen, die sie einnehmen könnte – ein abrufbares Repertoire von Einstellungen, die den Anspruch an sich selbst und fremde Erwartungen spiegeln.
Diese Rollenspiele sind Selbstbefragungen danach, welche Wesen, welche Geschichten, welche Bedürfnisse das persönliche Selbst definieren und wie beweglich diese Konstellationen sind. Das Bild ›Polyzephalie‹ greift modellhaft nach einem Ausdruck dafür. Die Vielköpfige ist ein originäres Geschöpf, ein Körper wie ein Fundament, ein fester Sockel, auf dem sich die Temperamente abspielen – als Köpfe.
In Claudia Rößgers Phantasie docken die Merkmale wie Pilze an, sie ploppen auf – und verschwinden und immer so weiter. Die Werke der Serie ›Actors‹ entfalten ein Repertoire vorstellbarer Charaktere. Es sind keine Schablonen von durchdeklinierten Physiognomien – eher das Gegenteil. Die Gesichter bleiben in ihrem Ausdruck zu- rückhaltend und miteinander verwandt. Sie wirken wie grafische Miniaturen, vor- sichtig, suchend, im Kontrast zum opulent ausgestatteten malerischen Beiwerk. Dieses Zubehör tragen die Geschöpfe würdig, mit großem Ernst und stiller, innerer Beteiligung auf Kopf und Schultern.
Werke wie ›Traum‹, ›Fieber‹ oder ›Melancholie‹ zeigen einzelne Zustands-Module in Claudia Rößgers Konzept, in ›Burgfräulein‹, ›Poet‹ und ›Dance Marie‹ sind komplexere Merkmalsbündel impliziert und die Erzählfiguren wie der ›Robin Hood‹, der ›König Zosimo‹ oder der ›Pierrot‹ – sind mit konkreten Handlungsmustern aufgeladen – kleine, kompakte Rollen mit Identifikationspotenzial. Die Kappen, Mützen, Helme, Turbane, aber auch Tiere, Gebäude, Kulinarisches und Florales türmen sich virtuos über den Gesichtern und bezeichnen all die ANDEREN.
Malerisch umgesetzt sind diese Attribute mit dem für Claudia Rößger typischen Arsenal formaler Details. Die sinnlichen, spielerischen wie geometrischen Elemente; Streifen, Sterne, Punkte, Zickzack-Linien, Kreise, Rhomben und Karos sind Keimbahnen der Sinnstiftung, die aus unterschiedlichen Quellen in ihr Werk finden. Zitate aus nordischer und slawischer Folklore, aus Märchen und Mythen, aus Theater und Zirkus auf der einen – und aus gegenständlicher Umgebung und Natur auf der anderen Seite werden zu Argumenten von Charakter und Verfassung. Die Malereien wie ›Mutterliebe‹ ›Ménage à trois‹ und ›Polyzephalie‹, funktionieren wie ein Film zur Werkentstehung. Die Elemente gelangen nacheinander und erkennbar über- einander in das Bild, ergänzen sich, verdrän- gen sich und bedeuten sich gegenseitig. Das Skizzenhafte der Arbeiten lässt alle Verwer- fungen und Versuche nachlesen und das Rin- gen um die Bildidee nachvollziehen. Sie stel- len das Ausprobieren zur Schau und vermeiden es bewusst, zur schönen Vollen- dung zu kommen. Die vielfältigen Übermalungen wollen nichts Unfertiges berichten, eher das Geworden-Sein eines Werkes zei- gen; den langsam errungenen Entschluss zu einer Figur.
Dr. Tina Simon, Leipzig 2016
VITA
Claudia Rößger, geboren 1977 in Mittweida, Sachsen