27.–30. April 2023
paper positions berlin | Claudia Spielmann
Warum ich male?
Zunächst, weil Malen aufregend ist. Ich mag das Papier, ich mag seine Einladung, diskret und vielversprechend zugleich. Und ich mag den metallischen Geruch der Tinte, ihre Farbe, vor allem aber die Endgültigkeit, die damit verbunden ist. Sobald die Tinte ins Papier dringt, ist nichts mehr veränderbar. Nichts kann radiert, nichts kann weggetupft werden. Der unkorrigierbare Umgang mit Tinte und Papier verlangt Konzentration und Entschiedenheit, er fordert Strenge:
Das Material hat seinen eigenen Willen, und ich muß bereit sein für das Bild. Ich male, weil ich mich, seit ich denken kann, für Linien und Formen, Räume, für Licht und Schatten interessiere. Ich trage Bilder mit mir herum, die auf mich wie ein Befehl wirken. Wie ein Langzeitbefehl. Oder wenigstens wie eine dringliche Bitte: male uns, wenn Du irgend kannst.
Diese Bilder bestehen aus Erlebnissen, aus Erfahrungen. Es sind verdichtete Momente, Augenblicke aus meinem Alltag, oft visuelle Mitbringsel von Reisen.
Zum Beispiel der Anblick einer Brücke in Santa Monica in der Mittagshitze. Ein Gerüst aus Stahl und Beton, gespannt über der Bucht, über ein Stück des Pazifiks.Die rhythmische Architektur ihrer versetzten Brückenpfeiler, die seltsam schattige Intimität unter der Brücke. Dazu das hohle Rumpeln der Autos. So ein Bild nehme ich mit. Zum Beispiel.
Oder Japan, Tokoname, ein kleiner verfallener Industrieort am Meer. Wo man die Holzhäuser und die stillgelegten Industrieanlagen durch einen Teeranstrich gegen das unablässige Salz zu schützen versucht hatte. Das schwere Schwarz der Fassaden, dazu das gleißende Sonnenlicht. Die Schatten auf dem harten Straßenpflaster, auf dem Sand. Das alles im eisigen Dezemberwind. Eine Stimmung der Verlassenheit, die nach Gemaltwerden geradezu verlangt. Luft und Salz und Sonne hatten in dem Holz und dem Teer Formen und verwitterte Farben hervorgerufen, die so vollendet und inspirierend waren, daß ich mich nicht sattsehen konnte.
Es hatte sicher Jahre gebraucht, diese anonymen Bilder entstehen zu lassen: als hätte die Zeit sich selber gemalt.
Am Nachmittag desselben Tages kratze ich den Rest meines Monatsgeldes zusammen und kaufte soviel handgeschöpftes Papier und schwarze Schultinte, wie ich konnte. Ich bezog eine Fabrikhalle und fing an.
Das war der Auslöser. Ich begann in Japan mit einer Serie von Monotypien. In Kalifornien und Deutschland habe ich weiter an diesen Themen gearbeitet. Viele Skizzen und Arbeiten sind so entstanden. Allesamt sind sie Versuche den gesehenen, den geliehenen - den Bildern in mir - nahe zu kommen. Manchmal gelingt es, aus einem Glücksmoment, aus einem schnellen und sicheren Gefühl heraus. Und dann bin ich zufrieden. Bleibe aber mißtrauisch. Und lege das Blatt beiseite.
Vergleiche es später mit anderen Blättern, vor allem aber mit meiner kleinen Galerie der inneren Bilder. Wenn es dort aufgenommen wird, wenn es nach drei Tagen oder Wochen immer noch stimmt, immer noch interessant ist, wenn ich keine flachen Stellen entdecke, wenn die Komposition lebt und atmet,- dann ist es gut.
Claudia Spielmann, Mai 1998