08/09. 2015

Katharina Wilke

Das letze Gestern war anders

Den textilen Bildern von Katharina Wilke, die in Bielefeld arbeitet und lebt, liegen ausrangierte Dias / Fundstücke aus den 1960er und 1970er-Jahren zugrunde. Die Künstlerin haucht diesen Arbeiten durch Stickerei mit feinem Gespür ein neues Leben ein. Der Stickgestus übernimmt die Bildsprache, ihre Arbeiten wirken dadurch einzigartig und wundervoll berührend.

Die verschiedenen Ebenen der Erinnerung und der Gegenwart, die zu einem Ganzen wachsen, machen es möglich, Kleinigkeiten zu erkennen, anzuhalten, Details auszuarbeiten oder auszublenden. Stiche zu setzen, wo im eigentlichen Sinn des damaligen Fotografen, keine hingehörten.
Der Entstehungsprozess Ihrer Werke ist, im Gegensatz zur Schnelllebigkeit in unserer zur Perfektion verordneten Gesellschaft, langsam und bedacht. Das eigentliche Motiv, die Grundlage der Arbeit, ist ein fremder Augenblick. Ein Moment der für jemanden bedeutsam war und jetzt ein neues Interesse findet. Diesem Moment eine zusätzliche Bedeutung unabhängig seines Ursprungs gegeben. Er wird eine weitere Geschichte erzählen. Manche Passagen werden überschrieben, sind aber für den flüchtigen Betrachter nicht zu erkennen. Die gefundene assoziierte Bildsprache aus der Gegebenen und der der
Künstlerin ist als Kontextualisierung der Funktionalität des Bildes zu betrachten. Eine Entfremdung von Alltäglichem. Durch das intensive, handwerkliche Auseinandersetzen mit dem Bild, durch das Überschreiten von Grenzen, dem Erfinden von Linien und Formen, wird das Bild mit einer Sprache, einer Perfektion des „Nichtperfekten“ überschrieben. Die Stickerei, vergleichbar mit Pixeln in der digitalen Fotografie, dient als Ergänzung des Moments, der Vergangenheit, und ist ebenso ein Transportmittel ins
Jetzt. In einer oft wochenlangen Auseinandersetzung mit dem Bild entsteht ein ständiges Geben und Nehmen. Eingriffe in das Geschehen und die Bildsprache mittels Nadel, Faden, Wolle und Garn. Diese Medien sind dabei nicht nur metaphorisch als Bindung zwischen der Künstlerin und dem Motiv zu verstehen. Aus einer konzeptionellen wie intuitiven Begegnung mit dem Motiv entsteht ein entfremdetes Eigenleben. Ein einmischen mit Sehen und Handeln in einen Moment, der nicht ihrer ist, aber zu ihrem wird. Dies zeigt die Vergänglichkeit von Momenten sowie, die Möglichkeit zur Wiederergreifung und Entwicklung. Stiche werden gesetzt wie das Stempelwerkzeug in Photoshop. Dem Ursprungsbild werden Informationen genommen und gegeben. Die verschiedenen Ebenen verwandeln sich zu einem neuen Augenblick. Es wächst eine Lebendigkeit die den Betrachter fragen und suchen lässt.